Klauseln zur relativen Zinsänderung in Prämiensparverträgen sind unwirksam

von Carl Christian Müller

Der Bundesgerichtshof hat erneut über Revisionen des Musterklägers, eines Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen ein Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts Dresden über die Wirksamkeit von Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden (Urteil vom 24.01.2023, Az. XI ZR 257/21).

Sparschwein auf Sparbuch
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Prämiensparverträge mit variabler Verzinsung

Die beklagte Sparkasse schloss seit Anfang der 1990er-Jahre mit Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50% der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:

"Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …% p.a. verzinst."

oder

"Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z.Zt. ...%, am Ende eines Kalender-/Sparjahres […]."

 

Sparkasse gibt den aktuellen Zinssatz per Aushang bekannt

In den in die Sparverträge einbezogenen "Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter: "Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist."

 

Anspruch auf Zahlung weiterer Zinsen könnte verwirkt sein

Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben Feststellungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vorzunehmen. Darüber hinaus möchte er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und dass die widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist.

 

Vorinstanz gibt Klage teilweise statt

Das Oberlandesgericht Dresden hat der Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht Dresden die Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und die Vornahme der Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes weiter.

 

Klagebefugnis und Verbandsklage

Wer kann vor deutschen Gerichten Klage erheben?

Maßgeblich für die Frage, wer überhaupt Klage erheben kann, ist die Klagebefugnis. Grundsätzlich muss der Kläger selbst, das heißt persönlich in seinen Rechten betroffen sein, um befugt zu sein, Klage zu erheben. Dies dient dem Zweck Popularklagen zu verhindern und einer Überlastung der Gerichte entgegenzuwirken.

Popularklagen vermeiden! Oder doch nicht?

Verbandsklagen sind Popularklagen. Verbände und Vereine machen im Wege einer solchen Klage fremde Rechte geltend, sind also dem Grunde nach nicht klagebefugt. Gleichwohl werden sie in bestimmen Fällen durch das Gesetz zugelassen. Dies ist insbesondere in Verbraucherschutzbelangen der Fall. Für den einzelnen Verbraucher kann es eine Herausforderung sein, sich gegenüber einem großen internationalen Konzern gerichtlich zur Wehr zu setzen. Verbände, wie die Verbraucherschutzzentralen, haben in dieser Hinsicht ganz andere Mittel und Kapazitäten zur Verfügung.

 

OLG Dresden muss Referenzzinssatz bestimmen

Der Bundesgerichtshof hat seine - nach Erlass des hier angefochtenen Musterfeststellungsurteils des Oberlandesgerichts Dresden - mit Urteil vom 6. Oktober 2021 (Az. XI ZR 234/20) ergangene Rechtsprechung in dem nunmehr verkündeten Urteil bestätigt. Dementsprechend hat er auf die Revision des Musterklägers das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat. Insoweit hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Darüber hinaus hat er entschieden, dass die Zinsanpassungen von der Musterbeklagten unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind.

 

Individualvereinbarungen sind nicht zu berücksichtigen

Das Oberlandesgericht Dresden ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Solche Individualvereinbarungen sind nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren aus. Da das Oberlandesgericht Dresden - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen zu einem geeigneten Referenzzinssatz getroffen hat, wird es dies nach Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben. Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge ist es interessengerecht, als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen einen Zinssatz oder eine Umlaufrendite mit langer Fristigkeit heranzuziehen. Bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes wird das Oberlandesgericht Dresden außerdem zu berücksichtigen haben, dass es sich bei den Sparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt.

 

Abstand von Vertrags- zu Referenzzins muss beibehalten werden

Nach der vom BGH vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung ist bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten. Nur eine solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen ungünstig bleiben. Dass sich die absolute Zinsmarge der Musterbeklagten bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall eines Anstiegs des Referenzzinssatzes erhöht und im Fall eines Absinkens des Referenzzinssatzes reduziert, verstößt nicht gegen die Grundsätze des Preisanpassungsrechts, weil die Musterbeklagte keinen Einfluss auf die Höhe der Zinsanpassungen hat.

 

OLG Dresden kann Sachverständigengutachten berücksichtigen

Das Oberlandesgericht Dresden wird erneut über die in einem Eventualverhältnis stehenden Anträge des Musterklägers betreffend den Referenzzinssatz zu entscheiden und dabei mit sachverständiger Hilfe im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Referenzzinssatz zu bestimmen haben. Dabei wird es zu bedenken haben, dass zur Verfahrensbeschleunigung gemäß § 411a ZPO ein bereits erstelltes Sachverständigengutachten dann verwertet werden kann, wenn es in einem anderen Gerichtsverfahren eingeholt worden ist.

Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 24. Januar 2023

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Carl Christian Müller, LL.M.
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht