Arbeitnehmer dürfen ins Ausland versetzt werden

von Carl Christian Müller

Der Arbeitgeber kann aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten, wenn nicht im Arbeitsvertrag ausdrücklich oder den Umständen nach konkludent etwas anderes vereinbart worden ist (Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 30.11.2022, Az. 5 AZR 336/21).

Frau auf dem Weg zum Flughafen
Foto: naka/AdobeStock

Versetzung von Deutschland nach Italien

Das Weisungsrecht aus § 106 GewO begrenzt den Arbeitgeber nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Die Ausübung des Weisungsrechts im Einzelfall unterliegt nach dieser Bestimmung allerdings einer Billigkeitskontrolle. Der Kläger ist seit Januar 2018 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin – beides international tätige Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland – als Pilot beschäftigt. Arbeitsvertraglich war die Geltung irischen Rechts und ein Jahresgehalt von 75.325,00 EUR brutto vereinbart. Aufgrund eines von der Beklagten mit der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), deren Mitglied der Kläger ist, geschlossenen Vergütungstarifvertrags verdiente er zuletzt 11.726,22 EUR brutto monatlich. Stationierungsort des Klägers war der Flughafen Nürnberg. Der Arbeitsvertrag sieht vor, dass der Kläger auch an anderen Orten stationiert werden könne. Aufgrund der Entscheidung, die Homebase am Flughafen Nürnberg Ende März 2020 aufzugeben, versetzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20.01.2020 zum 30.04.2020 an ihre Homebase am Flughafen Bologna. Vorsorglich sprach sie eine entsprechende Änderungskündigung aus, die der Kläger unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annahm.

 

Erfasst das Weisungsrecht Versetzungen ins Ausland?

Der Kläger hält seine Versetzung nach Bologna für unwirksam und hat im Wesentlichen gemeint, das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO erfasse nicht eine Versetzung ins Ausland. Zumindest sei eine solche unbillig, weil ihm sein tariflicher Vergütungsanpruch entzogen werde und ihm auch ansonsten erhebliche Nachteile entstünden. Dagegen hat die Beklagte gemeint, § 106 Satz 1 GewO lasse auch eine Versetzung ins Ausland zu, zumal als Alternative nur eine betriebsbedingte Beendigungskündigung in Betracht gekommen wäre. Ihre Entscheidung wahre billiges Ermessen, es seien alle an der Homebase Nürnberg stationierten Piloten ins Ausland versetzt worden, ein freier Arbeitsplatz an einem inländischen Stationierungsort sei nicht vorhanden gewesen. Zudem habe sie das mit der Gewerkschaft VC in einem „Tarifsozialplan bzgl. Stilllegung/Einschränkung von Stationierungsorten“ vorgesehene Verfahren eingehalten.

 

Sie haben Fragen zu diesem Beitrag? Sprechen Sie uns gerne hierauf an, am besten per E-Mail. Schicken Sie uns Ihre Fragen an . Wir melden uns umgehend bei Ihnen zurück.

Carl Christian Müller, LL.M.
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

 

Vorinstanz hält Versetzung für zulässig

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat unter Bejahung der Anwendbarkeit deutschen Rechts nach Art. 8 Rom I-Verordnung die Berufung des Klägers zurückgewiesen und angenommen, die Versetzung des Klägers an die Homebase der Beklagten am Flughafen Bologna sei nach § 106 Satz 1 GewO wirksam (Urteil vom 23.04.2021, Az. 8 Sa 450/20).

 

Arbeitsort ist vertraglich nicht festgelegt

Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Soweit das Landesarbeitsgericht Nürnberg die Anwendbarkeit deutschen Rechts nach Art. 8 Rom I-Verordnung bejaht hat, sind hiergegen in der Revision von den Parteien keine Verfahrensrügen erhoben worden und revisible Rechtsfehler nicht ersichtlich. Ist – wie im Streitfall – arbeitsvertraglich ein bestimmter inländischer Arbeitsort nicht fest vereinbart, sondern ausdrücklich eine unternehmensweite Versetzungsmöglichkeit vorgesehen, umfasst das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO auch die Versetzung an einen ausländischen Arbeitsort. Eine Begrenzung des Weisungsrechts auf Arbeitsorte in der Bundesrepublik Deutschland ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, dass die Maßnahme billigem Ermessen entsprach und der Ausübungskontrolle standhält. Die Versetzung ist Folge der unternehmerischen Entscheidung, die Homebase am Flughafen Nürnberg aufzugeben. Damit ist die Möglichkeit, den Kläger dort zu stationieren, entfallen. Die Beklagte hat das für einen solchen Fall in dem mit der Gewerkschaft VC geschlossenen Tarifsozialplan vereinbarte Verfahren eingehalten. Offene Stellen an einem anderen inländischen Stationierungsort gab es nicht, ein Einsatz als „Mobile Pilot“ war nicht möglich, eine Base-Präferenz hatte der Kläger nicht angegeben, alle am Flughafen Nürnberg stationierten Piloten wurden an einen Standort in Italien versetzt. Die Weisung der Beklagten lässt den Inhalt des Arbeitsvertrags, insbesondere das arbeitsvertragliche Entgelt, unberührt. Dass der Kläger den Anspruch auf das höhere tarifliche Entgelt verliert, liegt an dem von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Geltungsbereich des Vergütungstarifvertrags, der auf die in Deutschland stationierten Piloten beschränkt ist. Zudem sieht der Tarifsozialplan vor, dass Piloten, die an einen ausländischen Stationierungsort verlegt werden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen, insbesondere den dortigen Tarifgehältern, weiterbeschäftigt werden. Es ist auch nicht unbillig im Sinne des § 106 Satz 1 GewO, wenn die Beklagte mit der Versetzung verbundene sonstige Nachteile des Klägers, der seinen Wohnort Nürnberg nicht aufgeben will, finanziell nicht stärker ausgleicht, als es im Tarifsozialplan vorgesehen ist. Weil die Versetzung des Klägers bereits aufgrund des Weisungsrechts der Beklagten wirksam war, kam es auf die von ihr vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung nicht mehr an.

Quelle: Pressemitteilung des BAG vom 30. November 2022

Gratis Kündigungs-Check: So einfach geht’s:
  • Schicken Sie und die Kündigungsunterlagen unverbindlich zu.
  • Wir prüfen die Rechtslage und rufen Sie schnellstmöglich zurück.
  • Wir geben Ihnen eine telefonische kostenfreie Ersteinschätzung über das Kostenrisiko und Erfolgsaussichten des Falls.
  • Termine vor Ort sind nicht erforderlich, sind aber auf Anfrage ebenfalls möglich.
  • Wir reagieren unmittelbar nach Mandatserteilung und bearbeiten Ihren Fall sofort und fristgerecht.